«Kürze ist die Schwester des Talents», behauptete Anton Čechov und lieferte gleich selbst den Beweis. Er schrieb neben Kurzgeschichten auch Kürzestgeschichten, die weniger als fünf Zeilen umfassten.
Ich liebe Drei-Satz-Geschichten. Sie zu schreiben ist anspruchsvoll, macht jedoch unglaublich Spass.
Die Geschichten stammen mehrheitlich aus meiner Feder, aber nicht alle. Sie sind weder chronologisch noch inhaltlich gegliedert. Frei nach Lust und Laune werden sie hier eingefügt.
(neue Geschichte hinzugefügt am 26.02.2018)
Digitale Überraschung (12.03.2013)
Während der Sitzung vibrierte das iPhone in seiner Hosentasche. ICH BIN SCHWANGER stand in grossen Lettern auf dem Display. Er dachte kurz darüber nach, wie er dies seiner Frau erklären sollte bevor er sich wieder der Präsentation zuwandte.
Ab und zu (24.05.2013)
Manchmal geht er mir auf die Nerven. Nicht immer. Leider nur immer öfter.
Genug (03.07.2013)
Mit einem Bier in der Hand knallte er sich aufs Sofa. Es schwappte über. Genau wie meine Emotionen.
Frostige Zeiten (04.11.2014)
Einst sagtest du: «vertrau mir, meine Liebe!» Jedem Winter folge ein Frühling. Dann brach die Eiszeit über uns herein.
Beziehungsweise (12.08.2013)
Zusammen waren wir nun auf dieser ultra-romantischen Ferieninsel und sonnten uns am Strand. Ein Urlaub, der unserer flauen Beziehung den nötigen Kick geben sollte. Er döste und ich schlürfte gelangweilt an meinem Drink.
Der Blinde und der Sehende (11.09.2015)
«Strand», schreist du und einige Meter weiter sagst du: «Fischer». Entfernt zu hören das heisere Kreischen eines Schwarmes Möwen. Eisiger Wind peitscht mir ins Gesicht, liebkost meine Konturen und ich sage: «Salz auf meiner Haut».
Die Zerstörung (08.04.2016)
Weiss wie eine unberührte Leinwand kommt sie daher und erfüllt mich mit Klarheit. «Ich liebe dich», flüstere ich dieser Leere im Kopf zu. «Ich hasse euch», sage ich zu meinen Erinnerungen, die sich wie Wellen ungefragt über diesen leeren Moment schlagen, ihn besudeln, den Atem nehmen und ohne Aussicht auf Rettung rücksichtslos ertränken.
Eingeäschert (24.04.2015)
Als Pfand legtest du 1000 Sterne unter mein Kissen. Wie lose Versprechungen verglühen sie tausend Monde später in meiner Hand. Einer nach dem anderen.
Zeitenkonflikt (07.09.2013)
Das Heute will das Gestern verschlingen. «Weshalb tust du das?», will das Gestern vom Heute wissen. «Weil morgen eh alles vorbei ist», antwortet das Heute.
Reine Ansichtssache (26.02.2018)
«Heilige Scheisse, ich lebe noch!», sagt der Dachdecker nach dem Fall vom Giebel.
«Heilige Scheisse, ich lebe noch…», sagt der Daseinsmüde nach dem Fall vom Giebel.
Dem einen graut der Morgen, dem andren dämmert’s.
Anmache (18.04.2014) von Laura de Weck
TYP: Darf ich dich auf ein Bier einladen?
FRAU: Nein, danke.
TYP: Dann muss ich gar nicht erst fragen wegen ficken?
Eine Möglichkeit (07.09.2013)
Es ist eine Sache im Konjunktiv zu denken, eine andere ihn niederzuschreiben. Aber es ist die Hölle, den Konjunktiv zu leben. Glücklich dem Geheimnis seiner Misere auf die Spur gekommen zu sein, fragte sich der Schriftsteller: was wäre wenn ich nochmals von vorne beginnen würde?
Handarbeit (16.01.2015)
Allen Regeln der Gartenbaukunst folgend, schneiden zwei Gärtner die Äste der Baumkrone. Erschöpft aber zufrieden betrachten sie nach getaner Arbeit ihr Werk vom Boden aus. Dann fällen sie die Eiche.
Man wird bescheiden (19.04.2014) von Guy Rewenig
Heute war wieder ein guter Tag. Um null Uhr präzise hat er begonnen, genau am Mittag war er halb vergangen, und pünktlich zu Mitternacht hat er aufgehört. So viel Zuverlässigkeit ist schon ein Luxus in diesen schlampigen Tagen.
Der grammatikalische Überfall (08.01.2017)
Während eines Winterspaziergangs wurde Herr Zweifel von seiner Altbekannten, der Waswärewenn, verfolgt, überwältigt und zu Boden gerissen, wo er schlussendlich bewusstlos liegen blieb. Ein heftiger Schlag ins Gesicht und die Worte des Präsens «wach endlich auf, du verfluchter Narr!» liessen ihn zu sich kommen. Am Horizont tauchte die aufgehende Sonne die Zukunft in orangfarbenes Licht.
Der Stein der Erkenntnis (24.08.2018)
Lene warf unentwegt Steine ins Wasser und starrte auf die Oberfläche. Erst bei längerem Hinsehen erkannte sie, dass selbst dann, wenn der Stein aus ihrem Blickfeld verschwunden war, er schon längst auf den Grund des Sees gesunken sein musste, sich seinetwegen auf der Wasseroberfläche immer noch Kreise abzeichneten und wellenförmig ausbreiteten. Nichts konnte die Bewegung aufhalten und Lene begriff, was alles möglich war.
Ideenschmiede 2.0 (24.03.2017)
So ist das mit meinen Einfällen zu deinen Einfällen. Sie bringen sich gegenseitig zu Fall, winden, rangeln und necken sich, kommen erschöpft übereinander zu liegen und jeder Einfall sagt zum Anderen: «ich falle nicht ins Gewicht.» Dann brechen sie untereinander zusammen und wir, wir fangen immer und immer wieder von vorne an.
Fussballphilosophie (24.05.2013)
«Papa, Papa, was ist Ehe?», fragt der Junge seinen Vater. «Ehe ist wie ein Fussballspiel. Manchmal gewinnt man, manchmal verliert man und manchmal ist es so langweilig, dass man froh darüber ist, wenn das Spiel abgepfiffen wird.»
Auf immer und ewig (12.03.2013)
Erstaunt über die ungewohnte Stille im Haus ruft er den Namen seiner Frau. In der Küche findet er ihre Nachricht. Warte nicht auf mich – bin weg – für immer – Hackbraten ist im Kühlschrank.
Göttliche Komödie (12.08.2013)
Gott sass auf seinem Lieblings-Satelliten «Astra», zog seine Runden und betrachtete das Universum, sein Meisterwerk. Während er über dessen Schönheit staunte, zischte eine weitere Missions-Sonde Richtung Mars an ihm vorbei. Er hob die Hand zum Gruss und dachte flüchtig darüber nach, ob es eine gute Idee gewesen war, dem Homo sapiens Verstand mit auf den Weg gegeben zu haben.
Chauvinismus in Reinkultur (07.09.2013)
Er habe einen neuen Bettinhalt, erzählte der Mittfünfziger in Anzug und Krawatte seinem Sitznachbarn. Superba oder Bicoflex, wollte der andere wissen. «Nicht doch, sie heisst Olga, ist 26 Jahre alt, verdammt schön und kommt direkt aus Kiew.»
Der letzte Angeltag (11.09.2015)
Nach einer langen Zeit des Ausharrens schnappte ein Hecht nach seinem Köder. Er zappelte, wand sich, zerrte an der Angelschnur, japste nach Leben und versteifte sich, bevor er aufgab. Der Hecht indessen schaute das Ende abwartend dem Fischer und dessen Todeskampf zu, machte sich vom Hacken los und verschwand mit dem Köder im Maul in die Tiefe.
Alles ausser Liebe (19.04.2014) von Anna Miller
Bis auf die Grundmauern brannte alles nieder. Nur deine Asche brannte nicht. Du bist einfach nicht tot zu kriegen.