Mikrokosmos versus Makrokosmos

Manchmal hadere ich. Ich hadere, weil ich mir nicht sicher bin. Ich bin mir nicht sicher, was wichtiger ist. Ist es wichtiger, ständig über weltbewegende Themen zu schreiben und damit den bescheidenen, gewöhnlichen, oftmals gewöhnungsbedürftigen Alltagsmomenten den Platz auf dem Podest zu rauben? Ist es wichtiger, ständig über den Alltag und seine Monotonie zu berichten und darüber die weltbewegenden Themen zu vergessen?
Eines mag gewiss sein: Die Summe all jener Alltage, denen wir begegnen, denen wir zu- oder abgeneigt sind, die wir lieben und verachten, all jene Alltage, mögen sie noch so bescheiden sein, zeichnen uns ein Bild. Das Bild der Gesellschaft, in der wir selber leben. Und wenn wir danach Ausschau halten und ein bisschen Glück haben, finden wir in diesen alltäglichen Kleinigkeiten Themen, die die Welt bewegen.

Um diesen Alltagsszenen Raum zu schaffen, gibt es auf Textzentrale.ch die Reihe “neulich in” zu lesen.

Neulich in der Stadt:

  • Ein junges Paar Händchen haltend unter dem Sonnenschutz im Strassencafé. Beide gucken auf ihr Smartphone. Beide lächeln. Ein Lächeln, das nicht dem Gegenüber gilt.
  • Eine Mutter, die ihr schulpflichtiges Kind in einen Buggy gezwängt vor sich her schiebt. Zu wenig Zeit, zu langsam deine Beine, ihre Antwort auf die quälende Frage des Jungen.
  • Ein Fischer am Pier. Er überlässt die Hälfte seines Butterbrots einem Schwan und freut sich über dessen Zuwendung. Der Köder hüpft auf der Wasseroberfläche auf und ab.
  • Eine Frau, die schlanken Beine übereinander geschlagen, das Gesicht einer Göttin, alleine an einem Tisch. Sie nippt am Prosecco, an jedem Finger ein Ring.
  • Ein Tourist, der sich davon ein Bild macht, wie er mit seiner Kamera an einem Stab ein Bild von sich machen könnte. Dutzende von Menschen gehen an ihm vorbei.
  • Ein alter Mann und eine alte Frau in der Menge. Sie halten sich an den Händen. Stützen sich bei jedem Schritt. Kein Wort, nur Blicke.
  • Ein Mädchen auf der Brücke starrt ins Wasser, wirft Kiesel auf ihr Spiegelbild. Wendet sich angewidert ab.

Ich, sitzend und wartend auf der Treppe. Ich sehe euch. Ich sehe euch zu. Doch erst die Erkenntnis macht Sinn.