Wir können’s nicht so

Verdammt, nein!
Wir gestehen. Unser Verhältnis ist gespalten. Die Zusammenführung schlug sowohl im Einschulungsalter als auch in den nachfolgenden Lehrjahren fehl. Eine Wiedervereinigung – vergleichsweise wie mit Ost- und Westdeutschland – nicht auszudenken. Der Grund: was sich nie einig war, kann unmöglich wieder vereint werden. „Ihr könnt’s nicht so miteinander“, einst die Aussage des Oberstufenlehrers. Die hab ich mitgenommen und leb noch heute danach. Ich habe den Zustand akzeptiert. Von meinem Erzfeind kann ich das leider nicht behaupten.

Unlängst wurde ich von meinen Nichten gefragt, was in meiner Schulzeit für mich besonders schlimm und prägend war. Lange musste ich nicht überlegen. Auch wenn man mit fortschreitendem Alter denkt, es abgeschüttelt zu haben, gestörte Verhältnisse sind wie Aufkleber. Sie haften an dir, an Stellen, die du nicht im Blickfeld hast, bis du schlussendlich von jemandem darauf aufmerksam gemacht wirst.

Ich erzählte ihnen also von mir und meiner Auseinandersetzung mit den Zahlen. Sie erfuhren die ganze, die wahre Geschichte. Die Geschichte über den andauernden Krach mit der Mathematik, dem Geraufe mit Gleichungen, die nie aufgehen oder aufgeben wollten und den Dreisätzen, die ich in sieben Schritten und mehr zu lösen versuchte. Was Buchstaben beim Rechnen verloren hatten – genannt Arithmetik und Algebra (prosaisch) – fand ich damals schon bescheuert. Ich erzählte ihnen vom Streit mit dem Dezimalsystem, welches sich entschlossen und unaufhörlich mit mir anlegen wollte. Weshalb mir bei Brüchen schlecht wurde und ich bis zum Erbrechen alles teilte, was sich zwischen mich und das Mathematikheft drängte. Ich erzählte ihnen alles. Auch vom Tag, an dem ich aufgab und für mich entschied, dass „wir’s einfach nicht so können.“

Diesem Missstand zuzuschreiben ist, dass ich im Alltag immer wieder stolpere und in Fettnäpfchen trete. Ich vergesse Jubiläen, Jahreszahlen kann ich mir ohnehin nicht merken. Beim Eintippen verwechsle ich oftmals Zahlenkombinationen. So kommt es nicht selten vor, dass ich einen völlig Fremden an der Strippe habe, der mich der Werbebelästigung bezichtigt, anstatt mir Auskunft zu geben. Ich schreibe auch im Juni des laufenden Jahres noch die Zahl vom Vorjahr auf’s Blatt. Und wenn in der Tagesschau die Rede von Milliardenverlusten ist, frage ich mich primär, wie viele Nullen bei einer Milliarde hinter der Eins stehen.

Diesem Missstand zu verdanken ist, dass ich schon früh meine Energie und mein Lernwille in mir wichtiger scheinende Dinge investierte. Worte. Sprache. Schrift. Dort schloss ich Zahlenreihen aus und versuche noch heute, sie nicht ständig überhand nehmen zu lassen. Überzählig sind sie allemal.

In diesem Sinne: Danke, Mathematik! Auch wenn wir’s nicht so können, irgendwie können wir’s doch so, einfach nur anders.

Übrigens: die Textzentrale feierte am 15. April ihren ersten Geburtstag. Auch dieser Jahrestag ging im Zahlenwahn unter. Nichtsdestotrotz: wir bedanken uns bei der Leserschaft für die Treue und wünschen weiterhin viel Lesevergnügen.